Performance auf magischem Klangkörper Xala

Die Anmut in ihrer diszipliniertesten Form

Wie Ania Losinger ihre eigene Gesamtkunst entwickelt

“Auf lausigen Böden tanzte sie nicht gern. Auch wenn die Gitanas in Andalusien den Flamenco auf staubtrockner Erde oder holprigen Dorfplätzen ungeschönt zelebrieren – sie wollte ihm etwas anderes abgewinnen. Deshalb ärgerte es sie immer, wenn sie an einem Aufführungsort erschien und feststellen musste, dass die Bühne aus groben, unebenen Brettern bestand: «Wie sollte ich da Nuancen zum Klingen bringen?» Das leise Schleifen der Schuhspitze etwa, wenn sie, stolz wie eine Carmen einen Bannkreis um sich zog? Das allmähliche Crescendo der Absätze, die einander zum ultimativen tänzerischen Statement antrieben? Oder den dumpfen Aufprall des Fussballens, wie ein Signal zur Erdmitte hin?
…Sie beschloss, sich eine eigene Bühne zu bauen, unterlegte Metall, Teppichreste und andere Materialien, installierte Tonabnehmer, experimentierte…
…Gern spricht die Tänzerin von einer «Fügung», die sie 1998 mit dem Instrumentenbauer Hamper von Niederhäusern zusammenführte. Sie träumte inzwischen von «einem akustischen Klangboden». Also entstand in enger Zusammenarbeit der beiden die erste Xala, ein 400 Kilogramm schweres, 4,5 Quadratmeter grosses Bodenxylophon, mit den Füssen bespiel- und betanzbar. Es eröffnete Ania Losinger eine neue Dimension und künstlerische Ära…
…Die eigenwillige Künstlerin versteht sich grundsätzlich als Forscherin. Das muss sie auch, denn mit jedem Schritt, den sie auf ihrer Xala macht, betritt sie Neuland. Weltweit gibt es kein zweites solches Instrument und keine Zweite, die das komplexe Spiel darauf beherrscht. Hierin besteht Ania Losingers grosse Leistung: Auf diesem Klangboden, dieser eigens für sie konstruierten Bühne entwickelt sie ihre ganz eigene Gesamtkunst und erfindet sich laufend neu…
…Auf viele wirkt diese Frau, die in der Rhythmischen Sportgymnastik einst zum Nationalkader gehörte, wie eine Amazone. Etwas Unbeugsames geht von ihr aus, so biegsam, ja geschmeidig ihr Körper auch ist. Ist sie Athletin oder Künstlerin? Musizierende Tänzerin oder tanzende Musikerin? «Mein Traum war es immer, Tanz und Musik gleichberechtigt in einer Person zu vereinen»…
…Losingers Ästhetik ist klar und geradlinig, ihre Bewegungen sind diszipliniert, ihr Blick verrät höchste Konzentration. Ist sie beim Tanzen und Spielen in Trance? «Trance würde ich es nicht nennen», antwortet sie, «eher einen Zustand äusserster Präsenz, wie ich ihn sonst nicht erreichen und erleben kann. Ich höre und registriere alles, was im Raum passiert, jeden einzelnen Ton, die Obertöne, Schwingungen, Resonanzen. Alles. Und alles gleichzeitig.» …
…Egal, wo Ania Losinger auftritt – solo in einem Jazzkeller, mit dem Berner Symphonieorchester im Casino, als Aschenputtel im konzertanten Kindertheater, mit Mats Eser auf Tour durch Europa oder in Shanghai – immer ist sie ganz bei sich und entfaltet eine magische Wirkung, der sich niemand entziehen kann…”

Berner Almanach Tanz